zur Erinnerung

Abschied ist ein leises Wort

Matthes, Roland

Pollack, Andrea

Ampler, Klaus

Erler, Dieter

Fuchs, Ruth

Müller, Jutta

Schädlich, Gerd

Buschner, Georg


Nachruf auf Speerwurf-Olympiasiegerin Die vielen Leben der Ruth Fuchs (geb. Gamm) * 14. Dezember 1946 in Egeln (Sachsen-Anhalt);
† 20. September 2023 in Jena
( 76 Jahre )
Als Speerwerferin war Ruth Fuchs jahrelang die Weltbeste und gewann zweimal Olympia-Gold. Nach der Wende ging sie in die Politik, die DDR-Vergangenheit aber ließ sie nicht los. Mit 76 Jahren ist sie gestorben.

Von Peter Ahrens
20.09.2023, 16.12 Uhr

Ruth Fuchs, die Frau mit dem Eisenarm
Foto: Sven Simon / IMAGO

Mit der Leichtathletik begann sie 1960 auf der Kinder- und Jugendsportschule Güstrow. Nach dem Abitur im Jahr 1964 besuchte sie die medizinische Fachschule in Karl-Marx-Stadt, wo sie 1966 den Abschluss als medizinisch-technische Assistentin erhielt.

Ruth Fuchs studierte und promovierte an der Leipziger Sporthochschule DHfK und arbeitete danach als wissenschaftliche Assistentin an der Uni Jena.

Sie habe "ein wechselvolles Leben" gehabt, twitterte Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow am Mittwoch zu ihrem Tod. So kann man es nennen. Im Leben der Ruth Fuchs, die am Morgen im Alter von 76 Jahren gestorben ist, bündelte sich vieles.

Es mag kein exemplarisches DDR-Leben gewesen sein, dazu war sie zu prominent. Aber die großen Themen um den Sport und die Politik, die man mit der DDR verbindet, haben Ruth Fuchs begleitet.

Die Frau mit dem Eisenarm

Ruth Fuchs 1979 mit Hürden-Star Edwin Moses
Foto: Paul J Sutton / DUOMO / PCN Photography / IMAGO

Als Speerwerferin war sie die Beste. Man nannte sie "die Frau mit dem Eisenarm".

1972 in München errang Ruth Fuchs mit 63,88 Metern ihr erstes Olympia-Gold, vier Jahre später in Montreal (Kanada) folgte das zweite. Außerdem wurde sie 1974 in Rom (Italien) sowie 1978 in Prag (Tschechien) Europameisterin. Sie war die erste Frau, die das alte Speer-Modell auf mehr als 60 Meter beförderte. Im Laufe ihrer Karriere warf sie sechs Weltrekorde, der letzte im Jahr 1980 bescherte ihr eine Bestmarke von 69,96 Metern.

Die Winzigkeit von vier Zentimetern fehlte ihr zur 70-Meter-Schallmauer.

Es war auch das Jahr, in dem sie als große Goldfavoritin zu den Olympischen Spielen nach Moskau reiste, mit dem klaren Ziel, das Triple perfekt zu machen. Gold hatte sie bereits acht Jahre zuvor in München gewonnen, das Kunststück vier Jahre später in Montreal wiederholt. 1980 war sie 34, aber immer noch in Topform, zudem fehlten in Moskau aufgrund des Boykotts zahlreiche westliche Werferinnen. Es sollte der krönende Abschluss ihrer Laufbahn werden, so war der Plan.

Moskau wurde ihre größte Niederlage

Aber aus dem avisierten Triumph wurde ihre größte Niederlage. Fuchs wurde in Moskau nur Achte, sie sagte später: "Mein größter Sieg war die Überwindung meiner empfindlichsten Niederlage. Wohl nie zuvor habe ich gründlicher über mich nachgedacht als damals. Es stimmt: Auch der Misserfolg kann dein Lehrmeister sein."

Ruth Fuchs 1972 in München
Foto: dpa / picture alliance

Aufgewachsen war sie als Ruth Gamm in Mecklenburg, später ging sie nach Jena, trainiert von Karl Hellmann, den sie später heiratete. Wer im DDR-Speerwurf jener Tage etwas werden wollte, ging zu Hellmann zum Motor Sportklub nach Jena. Später machte der Coach auch Petra Felke, die Nachfolgerin von Ruth Fuchs, zur Olympiasiegerin.

Die kleinen blauen Kügelchen

Jena, das war aber auch die Stadt, in der vom VEB Jenapharm die kleinen blauen Kügelchen produziert wurden, die den DDR-Sport so in den Verruf gebracht haben. Ruth Fuchs hat 1994 in einem Interview mit der "Neuen Zeit" die Einnahme von Oral-Turinabol während ihrer Karriere offen eingestanden, sie ist bei dem Thema nicht wie viele andere abgetaucht. "Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, ›Ih, das habe ich nie gemacht‹."

Ihrer Auffassung nach bestand der Unterschied im Doping zwischen Ost und West nur darin, dass es in der DDR staatlich organisiert gewesen sei und im Westen jeder gemacht habe, was er wollte.

Sie hat allerdings immer betont, dass ihre Topleistung nicht zuallererst ein Produkt des Dopings gewesen sei: "Es gibt kein Doping der Welt, das Training ersetzen könnte." Das war zumindest ihre Wahrheit.

Fuchs war immer streitbar, keine einfache Persönlichkeit. Dass Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch in seinem Kondolenz-Tweet den Speerwurf versehentlich als "Sperrwurf" geschrieben hat, war mindestens ein Freudscher Verschreiber. Ruth Fuchs war sperrig, Ramelow ruft ihr nach: "Manchmal warst du mir zu hart und zu kompliziert, aber immer warst du klar."

Erste Olympiasiegerin im Bundestag

Im thüringischen Landtag 2009
Foto: Bild13 / IMAGO

Schon in der DDR eckte sie an, ihre Promotionsarbeit an der Leipziger Sporthochschule im Anschluss an ihre Sportkarriere zu Thema "Motivation im Leistungssport" wurde in der DDR nie veröffentlicht, weil den Funktionären die Thesen nicht passten.

Nach dem Mauerfall ging sie in die Politik. Sie saß für die PDS in der letzten Volkskammer 1990, anschließend rückte sie als erste Olympiasiegerin in den Bundestag auf, dem sie mit Unterbrechungen bis 2002 angehörte, um danach noch einmal bis 2009 in den thüringischen Landtag zu wechseln.

Eine politische Laufbahn, die auch nicht dadurch ihr jähes Ende fand, als 2006 eine Stasi-Akte über sie aus den Siebzigerjahren auftauchte. Der IM-Vorlaufakte X 367/71 der Stasi-Kreisdienststelle Jena war zu entnehmen, dass Ruth Fuchs im Vorfeld der Spiele von München von der Staatssicherheit angesprochen worden sei, um als "Diplomat im blauen Trainingsanzug" bei Aufenthalten im westlichen Ausland für sie tätig zu werden.

Fuchs hat das nicht abgestritten, aber immer behauptet, sie habe keinerlei persönliche Informationen an den Geheimdienst weitergegeben. Stattdessen habe sie ihren Trainer darüber informiert, daraufhin wurde die Akte 1973 geschlossen.

2009 zog sie sich aus der aktiven Politik zurück, danach galt ihr Schwerpunkt dem Betreiben eines Modegeschäftes in Jena. Der Gegend, der sie bis zu ihrem Tod treu geblieben ist, zuletzt lebte sie in dem kleinen thüringischen Ort Bucha.

Olympiagold, Doping, Politik, Stasi - Ruth Fuchs hat alles mitgenommen. Widersprüche und Umbrüche inklusive.


Quelle:


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04